Thüringen (Landgrafschaft, Land, Freistaat).
Das Gebiet zwischen Harz, Thüringer Wald, (Unstrut,) Werra und Saale
wurde in der Nachfolge anderer germanischer Völkerschaften im
5. nachchristlichen Jahrhundert von den Thüringern eingenommen, die
erstmals im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts als Toringi
erscheinen. Ihr sich noch darüber hinaus erstreckendes Reich wurde
531/4 von den Franken und Sachsen vernichtet und seine Angehörigen
unter fränkische Herrschaft gebracht und christianisiert. Die
Klöster Fulda und Hersfeld sowie das Erzstift Mainz (Erfurt) erwarben
umfangreiche Güter. Mit dem Übergang des deutschen Königtums auf die
sächsischen Liudolfinger und der Bildung weiter östlich liegender
Marken wurde T. vom Grenzland zu einem Kerngebiet des Reiches mit
Pfalzen in Erfurt, Tilleda, Wallhausen und Allstedt. Unter den
gräflichen Geschlechtern gewannen die aus einer Seitenlinie der
Grafen von Rieneck in Mainfranken stammenden, auf der 1044 erbauten
Schauenburg bei Friedrichsroda ansässigen, am Paß der Hohen Sonne
des Thüringerwaldes sowie um Sangershausen begüterten Ludowinger
(1039 Ludwig der Bärtige) die Vorherrschaft und wurden von König
Lothar III. um 1130 mit dem Titel Landgrafen ausgezeichnet. 1137
erlangten sie aus der Heirat mit der Erbtochter der Gisonen (Grafen
von Gudensberg) Güter in Hessen um Marburg und Gudensberg südwestlich
von Kassel. 1180 erwarben sie beim Sturz Heinrichs des Löwen zu ihren
thüringischen und hessischen Gütern die Pfalzgrafschaft Sachsen und
Güter an der Werra, oberen Weser und Leine (bis 1247). Sie erbauten
die Wartburg, die Neuburg an der unteren Unstrut und die Marburg an
der Lahn, doch gelang ihnen die Zusammenfassung ihrer Güter nicht.
1247 starben sie mit Heinrich Raspe im Mannesstamm aus. T. fiel
(endgültig 1263/4) an die wettinischen Markgrafen von Meißen, Hessen
über eine Erbtochter an die Grafen von Brabant (Landgrafen von Hessen),
womit einerseits die Trennung von Thüringen und Hessen und andererseits
die Aufgabe der selbständigen Einheit T. eingeleitet wurde. 1294
verkaufte Markgraf Albrecht der Entartete von Meißen T. an König Adolf
von Nassau, doch konnten die Markgrafen von Meißen 1307 in der Schlacht
bei Lucka die Mark Meißen und T. zurückgewinnen. Seitdem erweiterten
sie ihre Herrschaft in T. zu Lasten der Grafen und des Reichs (Vogtei
über die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, Erwerb der Herrschaft
Coburg 1353 sowie von fünf hennebergischen Ämtern mit Hildburghausen
1374), doch blieben die Herrschaftsgebiete von Schwarzburg, Henneberg,
Gleichen und Reuß (Vögte von Weida, Gera und Plauen), Erfurt, Mühlhausen
und Nordhausen sowie die Güter des deutschen Ordens bestehen.
Dementsprechend hatten die Markgrafen von Meißen im Norden einen langen
Streifen von der Elster über Weißenfels, Freyburg bis Langensalza,
weiter ein Gebiet um Eisenach, Salzungen, Gotha und Zella-Mehlis und
schließlich fast den gesamten Süden des Landes. 1485 teilte das Haus
Wettin in die Kurlinie der Ernestiner, die das Gebiet zwischen
Eisenach, Sonnewalde, Zwickau, Coburg und Wittenberg/Buttstädt erhielt,
und die Linie der Albertiner, an welche das Gebiet von Groitzsch bis
Treffurt fiel. 1547 verlor die ernestinische Linie die Kurwürde an
die albertinische Linie und wurde auf das inzwischen zur Reformation
übergetretene Gebiet von T. beschränkt, für welches sie 1548 die
Universität Jena gründete. Seit 1572 wurde T./Sachsen immer weiter
aufgeteilt und zersplitterte allmählich vollständig. Nach dem Aussterben
der verschuldeten Grafen von Henneberg verwalteten Albertiner und
Ernestiner deren Gebiete zunächst gemeinsam, teilten sie aber 1660 auf.
Am Ende des 17. Jahrhunderts bestanden im Rahmen des obersächsischen
Reichskreises zehn Linien der Ernestiner, neun der Reuß und drei der
Schwarzburg in T. Außerdem hatte das Erzstift Mainz die Herrschaft über
Erfurt und einen Teil des Eichsfeldes gewonnen und war Brandenburg mit
dem Saalkreis nach T. vorgedrungen. 1803 fielen Erfurt, das Eichsfeld,
Nordhausen und Mühlhausen, 1806 die albertinischen Teile an Preußen.
1815 bestanden im thüringischen Raum neben umfangreichen Gütern
Preußens und Exklaven und Enklaven die zwölf kleinen Staaten
Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Meiningen,
Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Coburg-Saalfeld, Schwarzburg-Rudolstadt,
Schwarzburg-Sondershausen, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie zu
Gera (Reuß-Gera), Ebersdorf (Reuß-Ebersdorf), Schleiz (Reuß-Schleiz)
und Lobenstein (Reuß-Lobenstein). Am 13.11.1826 erfolgte, nachdem
Sachsen-Weimar-Eisenach bereits 1815 zum Großherzogtum erhoben worden
war (seit 1877 Großherzogtum Sachsen), durch Schiedsspuch König Friedrich
Augusts I. Sachsen die Neugliederung in die sächsischen Herzogtümer
Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg sowie Sachsen-Coburg und Gotha.
Nach Abdankung der Fürsten im November 1918 entstanden acht Freistaaten
(vier der Ernestiner, zwei der Schwarzburg, zwei der Reuß). Sie
schlossen sich mit Ausnahme Coburgs, das zu Bayern kam, am
30.4./1.5.1920 entgegen den Wünschen Preußens zum Land T. mit der
Hauptstadt Weimar zusammen, das sich am 11.2.1921 eine Verfassung
gab. Der Name T. begann nunmehr über das ursprüngliche Gebiet zwischen
Werra, Saale, Harz und Thüringer Wald hinaus Gebiete östlich der Saale
und südlich des Thüringer Waldes zu umfassen (Herrschaftsgebiete der
ernestinischen Wettiner). 1933 wurde die Landesregierung einem
Reichsstatthalter unterstellt. Am 1.4.1944 wurde ohne die Enklave
Allstedt der zur preußischen Provinz Sachsen gehörige Regierungsbezirk
Erfurt und der zur preußischen Provinz Hessen-Nassau gehörige Kreis
Schmalkalden dem Reichsstatthalter in Thüringen unterstellt. In diesem
Umfang kam T. im April 1945 unter amerikanische, am 1.7.1945 (ohne das
Gebiet westlich der Bahnlinie Bebra-Göttingen [zu Hessen]) unter
sowjetische Besatzungsverwaltung. Am 20.12.1946 erhielt es eine
Verfassung. 1948 wurde der Regierungssitz von Weimar nach Erfurt
verlegt. Von 1949 bis 1990 kam T. zur DDR (25.7.1952 Bezirke Erfurt,
Gera und Suhl), wurde aber am 3.10.1990 (mit rund 2700000 Einwohnern)
wiederhergestellt (einschließlich der Kreise Altenburg, Artern und
Schmölln). Hauptstadt wurde Erfurt.
Quelle: Gerhard Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder: die
deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München, 1992
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